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Vertrauen macht stark

Warnung vor zu viel Leistungsdruck - Manches muss auch misslingen dürfen

Zusammenfassung eines Gespräches mit Frau Antje Berg, Südwest Presse - 16. November 2004

Wie oft sagt man seinem Kind, dass es etwas falsch gemacht hat, statt es zu ermutigen? Eltern sollten ihrem Nachwuchs vor allem Selbstvertrauen schenken, meinen Psychologen. Die wichtigsten Faktoren für eine gesunde seelische Entwicklung im Überblick.
Antje Berg

Sicherheit und Selbstvertrauen:

Jannik strahlt über das ganze Gesicht. Vor den Augen seiner Mutter hat der Fünfjährige das voll beladene Tablett zum Frühstückstisch balanciert. Weder Kaffeetassen noch Saftgläser sind dabei zu Bruch gegangen, auch Honigglas und Milchkännchen nicht. Die Mutter atmet auf - und ist nicht nur stolz auf ihren Sohn. Mit aller Macht hat sie ihren Impuls niedergekämpft, dem Jungen das Tablett zu entreißen.
Jannik hat das gut getan. "Das wichtigste für ein Kind ist, Selbstvertrauen zu entwickeln", sagt der Psychotherapeut Eckhard Schiffer, Autor des viel beachteten Buches "Warum Huckleberry Finn nicht süchtig wurde". Abenteuer wie dieser zu erleben und zu meistern, bleibt Kindern heute in der Regel verwehrt. Doch nach Herausforderungen und Selbstbestätigung suchen sie deshalb nicht weniger.
"Grundvoraussetzung dafür sind gute Erfahrungen mit den Eltern", sagt Schiffer. Schon der Säugling spüre, wenn er die Mutter und den Vater zum Lächeln bringe: "Ich bin ein Geschenk für meine Eltern, es ist gut, dass es mich gibt." Dabei entstehe ein Gefühl der Sicherheit und Geborgenheit.
Wer dem Nachwuchs auch später Selbstvertrauen geben will, muss gar nicht so viel tun - außer sich selbst zu überprüfen: Wie oft sagt man seinem Kind, dass es etwas falsch macht, statt es zu ermuntern? Wird das Kind nur gelobt, wenn es etwas leistet? Oder auch, wenn es sich ehrlich bemüht? Behütet man es ängstlich oder hat es auch die Chance, etwas auszuprobieren? Wird es dabei ständig kontrolliert und von schlauen Erwachsenen belehrt? Oder darf auch mal etwas misslingen, darf das Kind auch scheitern und daraus lernen?

Zeit und Zuwendung:

Nina und ihr Vater haben sich heftig gestritten, weil die achtjährige Tochter sich an eine wichtige Absprache nicht gehalten hat. Nun sitzt Nina schluchzend auf dem Sofa. Obwohl der Vater verärgert ist, nimmt er seine Tochter in diesem Moment in den Arm. "Die guten Gefühle füreinander dürfen auch im Streit nicht verblassen", sagt Schiffer. Eltern sollten stets versöhnungsbereit sein. Kaum etwas trifft Kinder härter als Liebesentzug.
Dem Kind zu zeigen, dass man es um seiner selbst willen liebt - im Prinzip eine Selbstverständlichkeit. Doch Zuwendung heißt nicht allein Körperkontakt, "sondern auch, sich Zeit zu nehmen, sich dem Kind zu öffnen und mit ihm zu spielen", sagt Schiffer. "Die Seligkeiten dieser Welt entdecken Kinder im Spiel. Und sie lernen dabei, wie die Welt funktioniert."
Dabei zeigt es sich immer wieder, dass es nicht so sehr darauf ankommt, wie viele Stunden am Tag sich eine Mutter oder ein Vater um das Kind kümmert. Viel wichtiger sei, dass das Kind die Zuwendung bekomme, wenn es sie brauche, sagen Experten. Zehn Minuten, wenn es ein Problem beim Legobauen gibt, können wertvoller sein, als stundenlang "Mensch-ärgere-Dich-nicht" zu spielen. Gefragt sind Eltern, die ihren Kindern durch kleine Hilfestellungen die Chance geben, Erfolge zu erleben.

(...) Ebenso wichtig sind (...) auch Freiräume, in denen sich Fantasie und Kreativität entfalten können. Die Tage eines Kindes, sagt Schiffer, sollten nicht bis ins Letzte durchorganisiert sein, weil es dann ständig unter Leistungsdruck steht - ob nun in der Schule, im Klavierunterricht oder im Sportverein. Ein Kind zu fördern und es für ein Hobby zu begeistern, macht zwar durchaus Sinn. Zu viel Programm aber lähmen Kreativität und Eigeninitiative. Wichtig sei, sagt Schiffer, dass Kinder selbst etwas gestalten können, ohne dass permanent ein Erwachsener vorschreibt, wie das Ergebnis auszusehen hat. "Die Kraft an sich selbst zu glauben, selbst etwas bewirken zu können, begründet eine Hoffnung, die auch in schwierigen Zeiten nicht verzweifeln lässt." Das sei der beste Schutz vor Sucht.

Freunde und Träume:

Lisa ist geknickt. In der Schule gab es heute nur Ärger. Von der Mutter mag sich die Neunjährige nicht recht trösten lassen. Besser fühlt sie sich erst, nachdem sie sich mit ihrer Freundin verabredet hat. Den ganzen Nachmittag über hören sie Musik, albern herum, spielen mit ihrem Bauernhof und erzählen sich die tollsten Geschichten. Der Fantasie sind dabei keine Grenzen gesetzt, es darf geträumt werden.
Im Spiel mit guten Freunden können Konflikte verarbeitet, Spannungen und viele Frustrationen abgebaut werden, sagen Experten. Eltern sollten diese Kontakte fördern, wo sie können - und sich daran freuen, wenn Kinder stundenlang abtauchen.